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SOLI BROSCHÜRE - Genua 2005: Stand der Prozesse

2005

Trotz offensichtlicher Beweise ist seit dem Beginn der Verfahren gegen die Polizei im Jahre 2002 in Zusamenhang mit der Repression während des G8-Gipfels 2001 in Genua bisher kaum etwas geschehen. Dagegen stehen derzeit 25 GipfelgegnerInnen vor Gericht, die bis zu 15 Jahren Haft riskieren. Aus diesem Grund haben wir diese Broschüre veröffentlicht. Sie enthält Informationen zum Stand der Verfahren, die derzeit laufen oder noch bevorstehen und zur Arbeit des Genoa Leggal Forum, das seit 2001 im Rahmen der juristischen Aufarbeitung von Genua bemüht ist, wenigstens die schlimmsten Ungerechtigkeiten zu verhindern.

Vielfalt, Macht und Ohnmacht

In den 1990er-Jahren kam es weltweit zu einem bemerkenswerten Erstarken der sozialen Bewegungen. Immer mehr Menschen weltweit sahen sich zum Handeln veranlasst. Der Grund war eine entschiedene Kritik der globalen Situation, die aus der Notwendigkeit resultierte, der allgegenwärtigen Verschlechterung der Lebensverhältnisse entgegenzutreten. Wesentliche Impulse hatten Anfang der 90er Jahre zweifellos die ZapatistInnen im Südosten Mexikos gegeben. Weitere Impulse kamen kurz darauf von zahlreichen, immer größer werdenden Demonstrationen gegen die Gipfeltreffen der der G8-Regierenden und der global operierenden Konzerne und Organisationen wie WTO und Weltbank. In Seattle, Prag und Göteborg wurde eine Bewegung sichtbar, in der sich verschiedene kulturelle und politische Hintergründe begneneten und jede der vielen unterschiedlichen Stimmen gleichberechtigt sprechen konnte. Ihre größte Kraft lag in der Vielfalt derjenigen, die sich beteiligten. Im Alltag wurde lokal gehandelt und gekämpft, bei Gipfeltreffen wurde der Protest gemeinsam auf die Straße getragen. Anlässlich der Gipfeltreffen schufen lokale AktivistInnen und die oft von weit her Angereisten immer bessere Infrastrukturen, darunter unabhängige Medienzentren, Diskussionsrunden zum Anlass des Protests und verschiedene Workshops wie bspw. zum Umgang mit Polizeigewalt. Vor allem aber begann ein Prozess, bei dem neben Kritik und Forderungen auch neue, unabhängige Visionen entwickelt wurden, die ernsthafte Alternativen zur gängigen Politik boten. Im gleichen Maße, wie die Protestbewegungen an Dynamik gewannen, verschärfte sich pünktlich die Repression. Auf den Gipfel-Demonstrationen in Seattle und Prag hatten bereits viele die Polizeigewalt zu spüren bekommen. Auf dem EU-Gegen-Gipfel im Juni 2001 in Göteborg wurde auf Demonstrierende scharf geschossen. Als im Juli 2001 über 300.000 Menschen nach Genua kamen, um gegen das G8-Treffen zu demonstrieren und zum ersten Mal im Rahmen des Genoa Social Forums alternative Entwürfe zu artikulieren erreichte die Repression Ausmaße, die noch lange unvergessen bleiben werden. Durch Errichtung eines eisernen Rings um die Innenstadt wurde ganz Genua in Beschlag genommen, die Einwohner Genuas wurden tagelang des sozialen Lebensraums beraubt während die Bewegungen, die auf dem Weg dorthin waren zur Rechtfertigung der Maßnahmen in den Medien zu einer Horde von barbarischen Polit-Hooligans stilisiert wurden. Die Vertreter der G8-Staaten konnten völlig ungestört ihr Treffen abhalten, während draußen hunderttausendfacher Protest mit einer Gewalt niederschlagen wurde, wie man sie von mancher Diktatur kennt. Der 23-jährige Carlo Giuliani kam ums Leben, mehrere Menschen überlebten nur knapp. Hunderte wurden in jenen Tagen widerrechtlich festgehalten und folterartig misshandelt, zehntausende brutal geschlagen und gejagt. Nach anfänglich weltweiter Empörung wurde es um die Opfer und die Gejagten bald sehr still. In Italien folgten Jahre der erbitterten Verfolgung und Repression von Systemgegnern, während die Massenmedien anhand einer heftig manipulierten Gewaltdebatte mit allen Mitteln die Spaltung der Bewegungen forcierten. Von der Gewalt, die von den Ordnungskräften ausging sollte hingegen möglichst wenig die Rede sein. Heute wünschen sich die Verantwortlichen nichts sehnlicher als ausgedehntes Schweigen, weil jetzt der für sie unangenehmste Teil der juristischen „Aufarbeitung“ von Genua ins Rollen kommt.

Genua geht uns immer noch alle an

Ungefähr zwei Dutzend kleinere Verfahren gegen Einzelne und zwei gewichtige, das Verfahren wegen der Tötung von Carlo Giuliani und das gegen die damals mit schweren Vorwürfen konfrontierten Opfer des Überfalls auf die Diaz-Schule sind abgeschlossen. Für Freude sorgte der Freispruch der Diaz-Leute, der Freispruch der Angeklagten im Fall Giuliani hinterließ hingegen tiefe Trauer und bittere Ohnmacht. Im Mittelpunkt stehen derzeit drei richtige Mammut-Verfahren. Beim schwierigsten geht es angesichts der Lage ganz besonders darum, 25 betroffene G8-GegnerInnen so gut es geht vor der Verhängung der ungeheuren ihnen drohenden Strafmaße zu bewahren. Es geht aber auch darum, die Durchsetzung des Vorwurfs der Verwüstung und Plünderung in Zusammenhang mit Protesten als Präzedenzfall zu verhindern und das Recht auf Widerstand zu behaupten, weil die Rekonstruktion der Ereignisse mittlerweile deutlich zeigt, dass die Unruhen tatsächlich die Merkmale einer Revolte trugen , deren Ursachen in der Beschneidung der Rechte, in der Belagerung einer ganzen Stadt und in einer hemmungslosen Repression der Proteste lagen.

Eine Revolte ist eine Revolte ist eine Revolte

Die gerichtliche Strafverfolgung von Protestteilnehmenden in Genua betrifft derzeit 25 Personen aus ganz Italien, denen „Verwüstung und Plünderung“ vorgeworfen wird. In irgendeiner Schublade liegen offenbar Klageschriften, durch die weiteren 50 ebenfalls ein Verfahren mit besonders schweren Anschuldigungen droht und es werden bald bis zu 200 weitere Verfahren gegen Personen aus Italien und dem Ausland eröffnet werden, die damals in den Straßen von Genua verhaftet wurden. Berge von Bildmaterial werden durchforstet, um per biometrischer Bildauswertung oder durch Polizisten identifizierten Personen die Begehung irgendwelcher Vergehen in jenen Tagen nachzuweisen. Wäre Carlo Giuliani nicht tot, so könnte er sich wegen der Geste, bei der er starb, gut unter den 25 oder den anderen befinden, die im Visier der Justiz sind. Bilder zeigen Carlo hinter Barrikaden, Carlo, der einen kleinen Stein wirft, Carlo, der einen Feuerlöscher aufliest und ansetzt, ihn zu werfen. Die Rekonstruktion seiner letzten Stunden zeigt aber, dass Carlo das alles eigentlich überhaupt nicht vorhatte. Diese Erkenntnis gilt genau so für viele, die jetzt auf der Anklagebank sitzen. Stell’ dir vor, du kommst an einem Tag, an dem Tausende Tränengaspatronen eine Stadt verpesten und überall nur noch Polizeiknüppel wüten und Rauchschwaden steigen an einem Supermarkt vorbei. Stell’ dir vor, die Rollläden sind ausgehoben und die Tür offen. Du bist hungrig und durstig und unter Schock und voller Wut, über das, was mit den Menschen passiert, die gekommen sind, um die G8-Herren zur Rede zu stellen. Stell’ dir vor, du gehst, wie viele andere, hinein und nimmst einen Schinken mit. Stell’ dir vor, du bist auf einer genehmigten, von oben bis unten friedlichen Demonstration und Horden von PolizistInnen, die teilweise mit frisierten Schlagstöcken wüten, sprengen den Zug mit roher Gewalt. Stell dir vor, es fliegen Tränengaspatronen auf Augenhöhe, stell dir vor, Zigtausend haben keinen Fluchtweg und vergessen, dass sie sich geeinigt hatten, gewaltlos die Rote Zone zu entern, weil das, was passiert, einfach zuviel ist. Stell’ dir vor, aus Angst und Schrecken wird Revolte. Carlo übrigens, der stolperte – rein zufällig – genau über diese Situation und war zweieinhalbe Stunden später tot. Die StaatsanwältInnen blenden den Kontext, in dem die Handlungen zustande kamen, durch die den Angeklagten 8 bis 15 Jahre Haft drohen, hartnäckig aus. Sie wollen um jeden Preis dafür sorgen, dass die Menschen – etwa der, der den Schinken mitnahm – exemplarisch bestraft werden. Wenn sie sich durchsetzen, wird diese juristische Handhabe zum bedrohlichen Präzedenzfall. Eine breite politische Diskussion und eine scharfe Auseinandersetzung sind unumgänglich, wenn man den verheerenden potentiellen Folgen entgegentreten will und es ist wichtig, die Arbeit der AnwältInnen der Verteidigung und ihrer UnterstützerInnen zuverlässig mitzutragen, weil es um das Schicksal von weiteren Leuten in der Zukunft geht und weil die 25, die jetzt schon einer Strafe entgegen sehen, in den italienischen Knästen ein Bolzaneto auf Raten erwarten könnte, denn... die Gewalt in Genua, die 2001 die Welt schockierte, gehört in vielen Knästen zum Alltag und zur gängigen Polizeikultur Italiens. Das Absitzen einer Strafe als Genua-DemonstrantIn wird es mit Sicherheit nur noch schwerer machen.

Der Diaz-Schulen-Prozess: der Terror bleibt im Grunde folgenlos

In der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 2001 stürmten rund 300 Polizisten die Schule Armando Diaz. Dort überfielen sie maskiert, laut brüllend und wild um sich schlagend 93 wehrlose, teils schlafende Gipfelgegner und Journalisten. 81 Personen wurden verletzt. 3 schwebten mehrere Tage in akuter Lebensgefahr. Einschließlich der meisten Verletzten wurden sie hinterher in die Polizeikaserne Bolzaneto verbracht, wo sie grausamst misshandelt und gedemütigt wurden – wie zuvor auch schon zahlreiche andere DemonstrantInnen. Der Überfall auf die Schule sollte dazu dienen, möglichst viele G8-GegnerInnen zu verhaften, um die Polizeigewalt der vorausgegangenen Tage zu rechtfertigen. Man stilisierte die Opfer kaltblütig zu TäterInnen und präsentierte sie als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung. Man behauptete, sie hätten die Polizei gewaltsam angegriffen und ein Waffenarsenal besessen. Ihre Verletzungen wurden durch gefälschte Atteste vordatiert und als Blessuren verkauft, die sie sich bei Straßenschlachten zugezogen haben sollten. Die einzigen Gewalttäter im Gebäude waren aber die Polizisten, die es gestürmt hatten. Die ermittelnden StaatsanwältInnen haben die Razzia als „Entfaltung und Ausdruck einer Handlungsvorgabe“ bezeichnet, „die eine Initiative mit extrem hohem taktisch-militärischem und politisch-sozialem Risiko für reif hielt“ und konstatiert, dass ein „Direktorium“ aus höchstrangigen Beamten dabei Regie führte. Wer für diese Vorgabe „ganz oben“ verantwortlich war, bleibt aber ungelöst und auch wegen den grausamen Übergriffen wird sich im Einzelnen keiner verantworten müssen. Die verbrecherische Aktion fand hinter Mauern statt, hinter die keine Kamera drang. Die Polizeibehörden erschwerten die Identifizierung der einzelnen Täter mit allen Mitteln. Bis heute konnten die anklagenden StaatsanwältInnen die Namen der Angehörigen von einer involvierten dreißigköpfigen Sondereinheit nicht erfahren. Die Herausgabe von Bildern der restlichen Polizisten zur Identifizierung wurde mehrfach aufgehalten. Als es soweit war, fanden sie sich mit einem Haufen uralter Passfotos, die teilweise auch noch fotokopiert waren wieder. Weil viele Schläger maskiert und behelmt waren, gelang es grundsätzlich kaum, die einzelnen Männer der Begehung von einzelnen Gewaltakten zuzuordnen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft waren alle am Überfall beteiligten Polizisten auf irgendeine Weise schuldhaft in ihm verwickelt, aber nur 29 konnten am Ende angeklagt werden. Stellvertretend für die Truppe müssen sich nun 13 Zugführer verantworten, weil sie den „Exzessen“ der Untergebenen nicht „angemessen“ Einhalt geboten haben. Zusätzlich ist ein gutes Dutzend leitender Beamter an der Reihe. Unter ihnen sind mehrere Polizeipräsidenten und -direktoren, der Chef der Antiterrorpolizei und der Vizechef der Sonderabteilung des Staatsschutzes Digos, die ohne Ausnahme weiter im Amt sind und teilweise sogar erst nach Genua in diese Ämter befördert wurden. Einige von ihnen müssen u. a. erklären, was eine blaue Plastiktüte, die zwei Brandflaschen enthielt, die später in der Schule deponiert und zur Begründung des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung den dort verhafteten Menschen untergeschoben wurden, in ihren Händen zu suchen hatte. Aufnahmen eines lokalen TV-Senders zeigen, wie sie sich auf dem Schulhof mit diesen Flaschen beschäftigen, die nachweislich aus einem Polizeifahrzeug kamen. Ministerpräsident Berlusconi und der rechte Außenminister Gianfranco Fini bleiben hartnäckig: sie nennen die Männer – die auch treue Wähler sind – Helden, die zu Unrecht beschuldigt werden. Wir aber wissen es besser: diese „Helden“ legten einen Auftritt hin, der einstigen Übergriffen von faschistischen Schwadronen in einer früheren Zeit in Nichts nachgestanden hat.

Fortsetzung folgt: Die TäterInnen dürfen gelassen bleiben

Operation Sammellager: in der Kaserne Bolzaneto wurden Hunderte widerrechtlich festgehalten, anhaltend schwer misshandelt, gedemütigt, terrorisiert und an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert. Das Recht, bei Festnahme einen Anwalt zu sprechen, war bereits im Vorfeld per Dekret aufgehoben worden. Um ganz sicher zu gehen, erpressten die „Diensthabenden“ arglistig und gewaltsam von zahlreichen Insassen auch noch die Unterschrift von Protokollen, in denen stand, dass es sie selbst waren, die keinen Anwalt wünschten. Ebenso wurden falsche Geständnisse erzwungen. Die StaatsanwältInnen stellen fest, dass „von den fünf Behandlungen, die vom [europäischen] Gerichtshof [für die Menschenrechte im Verfahren Irland gegen UK 1978] untersucht und für unmenschlich befunden wurden, in Bolzaneto mit Sicherheit vier“ zur Anwendung kamen. Es handelt sich um das Vorenthalten von Nahrung und Getränken, um die Aussetzung zu akustischem Stress, um Schlafentzug und langanhaltendes Stehen an der Wand. Die Gefangenen wurden wiederholt geschlagen und genötigt, faschistisches Liedgut zu singen. Sie mussten hungrig, durstig und verletzt stundenlang in kalten und zugigen Räumen verharren und mit erhobenen Armen und gespreizten Beinen an der Wand stehen. In einige Zellen sprühte man CS-Gas, Toilettengänge waren Spießrutenläufe zwischen Spalieren von prügelnden PolizistInnen. Frauen wurden wiederholt sexualisiertem Psychoterror ausgesetzt, alle wurden gedemütigt. Den Rekord der Anklagepunkte, die im Bolzaneto-Verfahren nun gegen 47 Angehörige von Polizia, Carabinieri und einigen Ärzten bestehen, hält der Arzt Giacomo Toccafondi, der im Tarnanzug arbeitete und unter anderem einem Gefangenen zwei Finger auseinander zog, bis die Handfläche zentimetertief einriss – nicht ohne ihm vorher gesagt zu haben, er müsse angeben, er habe sich selbst verletzt, wenn er nicht wolle, dass ihm noch schlimmeres widerfährt. In den Augen der StaatsanwältInnen besteht kein Zweifel: In Bolzaneto wurden die Grundrechte und die Menschenwürde mit Füßen getreten. Viel mehr als ein vernichtendes moralisches Urteil wird aber womöglich nie zustande kommen, weil – wie im Diaz-Verfahren – fast durchgehend die Verjährung winkt, es sei denn, die Auseinandersetzung wird zu gegebener Zeit vor dem europäischen Gerichtshof weitergeführt, wie vom Genoa Social Forum angekündigt wurde, damit es doch noch zu Konsequenzen wegen der Folter kommt und eine angemessene Entschädigung der Opfer erstritten werden kann, von denen einige derart schwere Langzeitschäden davon trugen, dass ihre Existenz bedroht ist. Weil Folter im italienischen Strafgesetzbuch nicht vorkommt, wird die gesamte Gewalt jetzt aber bloß als gewöhnliche Körperverletzung behandelt. Hier ist die Verjährungsfrist weit geringer. Die meisten werden also sehr wahrscheinlich den Kopf aus der Schlinge ziehen können. Die Schwierigkeit, einzelne TäterInnen einzelnen Taten zuzuordnen sorgt auch hier dafür, dass viele gar nicht erst vor Gericht kommen.

Von Anfang an dabei: das GLF

Im Vorfeld des damaligen G8-Gipfels formierte sich das Genoa Legal Forum (GLF) als Zusammenschluss von engagierten AnwältInnen, die den Protestierenden angesichts der Einschränkungen der Grundrechte rechtlichen Beistand bieten wollten. Sie ahnten nicht, was sie erwartete. Sie ernteten teilweise selbst Prügel und erlebten, wie aus der Einschränkung der Grundrechte deren Aufhebung wurde. Nach Genua kämpften sie um die Rehabilitation der Diaz-Opfer, während der Fall Giuliani ungelöst begraben wurde. Heute vertreten sie die Nebenklage in den Verfahren gegen die Polizei und vor allem verteidigen sie die 25 ProtestteilnehmerInnen, die wegen Verwüstung und Plünderung Gefahr laufen, für etliche Jahre hinter Gittern zu verschwinden. Seit 2004 steht ihnen Supportolegale zur Seite, ein Team aus Menschen, die nicht bereit sind zuzulassen, dass die Geschichte von Genua vollständig im Sinne der Obrigkeit umgeschrieben wird. Sie arbeiten als Sachverständige, ArchivarInnen, DokumentationsanalystInnen und TechnikerInnen und verbuchten schon wesentliche Erfolge. Konstruierte Beweisunterstellungen konnten ernsthaft angezweifelt werden, es wurde der Gebrauch von frisierten Schlagstöcken durch die Polizei nachgewiesen und einiges mehr, das Teile der Wahrheit ans Licht bringt, die am frühen Nachmittag des 20. Juli 2001 zu jener Revolte in den Straßen führte, die der Obrigkeit nach anstelle der eigentlichen Verbrechen, die vom „Sicherheitsapparat“ begangen wurden, als kriminelle Handlung in die Geschichte eingehen soll.

Um Gerechtigkeit kämpfen ist kein Spaziergang

Wer in Sachen Genua versucht hat, nicht wegzuschauen, hat deutlich zu spüren bekommen, dass ein solches Verhalten nicht erwünscht ist. JournalisteInnen, RichterInnen und ProzessbeobachterInnen haben es erfahren und ganz besonders die AktivistInnen, die dazu beitragen, dass Supportolegale existiert. Wenn die AnwältInnen und ihre UnterstützerInnen in mühseliger Arbeit unliebsame Wahrheiten zu Tage fördern, holen Berlusconis TV-Lakaien schon mal zum schwer illegalen medialen Gegenschlag aus. Als Supportolegale etwa die Dynamik des Angriffs auf die völlig gewaltfreie und genehmigte Demonstration der Tute Bianche rekonstruierte und bewies, mit welcher Gewalt die widerrechtliche Maßnahme durchgeführt wurde, ließ ein italienischer Talkmaster prompt Abhörmitschnitte, die Teil eines noch schwebenden Verfahrens wegen Genua und damit geheim sind ausstrahlen, um der TV-Nation die GipfelgegnerInnen als die igentlichen Verbrecher zu präsentieren. Wer einer Gerichtsverhandlung beiwohnen will, der/die wird am Eingang penibel durchsucht und des Öfteren von „sonstigen“ BesucherInnen ungesehen angerempelt, während seine Papiere kopiert werden. Der jüngste Höhepunkt war die mit einer Anzeige wegen Verleumdung eingehende Beschlagnahme von zwei Rechnern, die zwei Sachverständigen von Supportolegale gehören und sämtliche Materialien der Verteidigung im Verfahren gegen die 25 enthielten. Für die Aktion bildeten gleich mehrere Hundertschaften vor dem Gerichtsgebäude einen Spalier. Ein Pulk von Digos-Zivilfahndern folgte den beiden und setzte sie kurz darauf wie in einem Action-Film fest. Die Botschaft lautet immer stärker: „Du störst, du veröffentlichst fast in Echtzeit was in diesen Gerichtssälen passiert, du machst zuviel Gebrauch von deinen Rechten. Du setzt uns zu sehr zu, aber wisse, dass wir dich wann wir wollen zur Strecke bringen können“. Supportolegale wird dennoch nicht aufgeben. Im Gegenteil: angesuchts der weiteren Verfahren gegen DemonstrantInnen, die bald eröffnet werden sollen, bereitet sich die Gruppe darauf vor, noch mehr zu arbeiten. Die 10.000 Euro Unkosten, die derzeit monatlich für den Kampf nach Genua anfallen, die haben sie nicht – für deren Deckung müssen wir alle sorgen. Aber sie haben den Mut und sie bringen das unendlich große Engagement ein, ohne die wir alle viel ärmer wären. Supportolegale wird nicht aufgeben, es sei denn, die Mittel kommen abhanden!

Der Weg ist lang und die Mittel sind knapp

Wir blicken auf ein mehrjähriges Partizipationsvakuum zurück, das durch Lähmung und Spaltung der Bewegungen sowie durch jahrelange Geheimhaltung von vielen Tatsachen in der Ermittlungsphase und das gewollte – und zum Teil wahrscheinlich auch erzwungene – Schweigen der Medien verursacht wurde. Die Zahl derer, die jene die wirklich intensiv mitarbeiten mit Öffentlichkeit, Aktionen und Spenden unterstützen, ist derzeit noch sehr gering. Das muss sich ändern, weil die Arbeit des GLF und von Supportolegale noch über viele Jahre ungeheuer wichtig sein wird. Sie wird nur bestehen können, wenn viele versuchen, sich an der Beschaffung der Mittel zu beteiligen. 10.000 € im Monat sind kein Pappenstiel, die Arbeit von Supportolegale aber auch nicht, soviel ist sicher. Ein zusätzlicher Grund, um sich den G8 2001 ins Gedächtnis zurück zu rufen und das Schweigen zu beenden ist, dass die Erinnerung auch helfen kann, etwas vom Selbstbewusstsein, von der Kraft und den Visionen, die uns durch die Gewalt in Genua genommen wurden zurückzugewinnen, um die gewaltsam unterdrückte Auseinandersetzung mit den G8-Herren noch motivierter und entschlossener wiederaufzunehmen, wenn sie nach Schottland kommen.

Die Proteste gegen die G8-Gipfel...

... haben die Regierungen immerhin gezwungen, sie in abgelegenem Gebiet abzuhalten. Zudem wurde der Öffentlichkeit erklärt, dass sie demnächst weniger repräsentativ vonstatten gehen sollen. 2005 tagen die G8 wieder, in Großbritannien. Der Gipfel 2005 6.-8. Juli wurde im Gleneagles Hotel in Perthshire, Schottland (ca. 60 km nördlich von Edinburgh) beherbergt. 2007 soll das Polit-Theater in Deutschland zur Aufführung kommen, im mecklenburgischen Seebad Heiligendamm, etwa 80 km von Rostock entfernt. Ein Netzwerk um dagegen zu mobilisieren ist bereits am Entstehen. Der erste Aufruf ist unter http://anarchie.de/main-50818.html abrufbar. Das Netzwerk ist zu erreichen unter g8-2007@riseup.net.

Aktuelles zu Genua

Informationen gibt es unter anderem über den Newsletter von gipfelsoli [Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung]. Über diesen Verteiler wird Aktuelles über juristische Nachspiele vergangener Gipfel verschickt, aber auch über Mobilisierungen zu künftigen Ereignissen (Göteborg, Thessaloniki, Prag, Genua, Gleneagles, Heiligendamm etc.). Subscribieren könnt ihr euch unter https://lists.nadir.org/cgi-bin/mailman/listinfo/gipfelsoli-l. Die Gruppe erreicht ihr per Mail über gipfelsoli@nadir.org.